Es war meine dritte Schwangerschaft, mein zweiter Sohn.

Der Geburtstermin war für Ende Oktober ausgerechnet. Da meine ersten beiden Kinder ein paar Tage früher geboren wurden, rechnete ich auch diesmal damit, wieder vor dem ET zu entbinden. Mein großer Sohn hat ein für mich sehr schönes Geburtsdatum, das Datum meiner Tochter ist mir irgendwie schlecht eingängig, mit den Zahlen kann ich mich wenig anfreunden. Deshalb habe ich mir diesmal den 20.10.20 ausgeguckt und war fest davon überzeugt, dass mein drittes Baby an diesem Datum geboren wird. In den Tagen kurz vor dem 20.10. wurde ich innerlich etwas unruhig. Mich packte der Nestbautrieb und ich erledigte einige, wohl eher unnötige, Dinge zu Hause… Backofen reinigen, Fenster putzen, Hof kehren. Leider führte nichts davon zu Wehentätigkeit. Diese kam zwar jeden Abend in Form von Übungs- und Senkwehen, ging aber beim Schlafen gehen zuverlässig wieder weg.

Letztes gemeinsames Dinner

Am 19.10. ging ich mit meinem Mann noch einmal schön essen, wir genossen den Abend zu Zweit, die Großen wurden von der Babysitterin versorgt. Bei leckerem Essen diskutierten wir wieder mal über den Namen fürs Baby, wirklich sicher waren wir uns immer noch nicht, hatten aber auch keine besseren Ideen.

Der 20.10. kam, die Wehen nicht. So verging der Tag ohne nennenswerte Ereignisse und ich merkte, dass ich es einfach doch nicht in der Hand hatte, wann mein Baby auf die Welt kommt. Also fing ich an, mich zu entspannen. In den darauffolgenden Tagen meditierte ich vermehrt, schlief viel und legte mich in die Badewanne. Ich war bereit, das wusste mein Baby. Am Samstag Morgen, 24.10. verspürte ich einen Impuls endlich den Büroschrank auszumisten. Viel zu lange hatte ich das schon vor mir her geschoben.

Rausschmiss stand also an!

Während ich auf dem Boden saß und Bastelpapier sortierte, spürte ich das ein oder andere unangenehme Ziehen in der Leiste, schenkte dem aber noch nicht wirklich Beachtung.

Es war ein sonniger, warmer Oktobertag. Der Große spielte mit den Nachbarskindern im Garten. Er war heute voller Vorfreude, da er sich zum allerersten Mal zum Übernachten verabredetet hatte und heute endlich bei seinem Freund schlafen durfte. Die Kleine war mit dem Papa einkaufen. Sie brachten ein paar Leckereien vom Markt mit nach Hause und wir aßen zu dritt Mittagessen. Danach wollten wir einen Mittagsschlaf machen und legten uns alle 3 gemeinsam ins Bett. Währenddessen spürte ich das Ziehen in der Leiste schon etwas mehr und traute mich das erste Mal auszusprechen, dass ich vermutete, das Baby heute oder spätestens morgen bei uns begrüßen zu dürfen.

Unsere Tochter – bald große Schwester – meine Hebamme 

Unsere Tochter kam nicht zur Ruhe und schlief nicht ein, sie wollte aber auch nicht raus mit den anderen Kindern spielen. Sie holte ein Buch aus dem Regal und wollte es mit mir lesen. Es war das Buch über eine Hausgeburt „Runas Geburt“. Nach dem Vorlesen fragte ich sie, ob wir gemeinsam Kuchen backen wollen. Das war mein Ritual während der Wehen. Schließlich muss es Geburtstagskuchen geben. Sie freute sich sehr und sagte: „Ja, Geburtstagskuchen, mit Kerzen oben drauf!“ Ich hatte ihr gegenüber nicht geäußert, dass ich Wehen hatte, aber das brauchte ich auch nicht. Sie wusste es, sie spürte es. Sie blieb den ganzen Tag an meiner Seite.

Wir backten gemeinsam Kuchen, zwischendurch musste ich das Rührgerät pausieren und das Ziehen in der Leiste veratmen. Als der Kuchen im Ofen ist, räumte ich noch etwas auf und merkte dann gegen 17:30, dass ich zur Ruhe kommen möchte.

Ich legte mich aufs Sofa und bekam von meiner Tochter die Haare gekämmt. Dann holte sie ihren Arztkoffer und untersuchte meinen Bauch.

Das Ziehen in den Leisten war nun schon sehr stark und ich entschied mich dazu, mir meine Kopfhörer in die Ohren zu stecken und die Geburtsmeditation aus meinem Vorbereitungskurs

„die friedliche Geburt“

anzuschalten.

Es half mir sehr, Kristins Stimme beruhigte und entspannte mich und ich kam etwas in die Trance. Kam eine Wehe und ich spannte zunächst meine Körper an, war das Ziehen fast unaushaltbar. Ihre Stimme erinnerte mich an loslassen, die tiefe Bauchatmung und Entspannung und tatsächlich konnte ich damit die Wehen deutlich besser ertragen und aushalten.

Mein Mann stand in der Küche und kochte uns ein leckeres indisches Abendessen. Es roch köstlich, ich hatte durchaus auch Hunger, doch am Tisch sitzend konnte ich die Wehen fast nicht tolerieren. Ich musste liegen, ich brauchte die Meditation. Außerdem wurde mir während der Wehe etwas übel und ich hatte Sorge, dass das leckere Essen wieder raus kommen könnte. Daher aß ich nur sehr wenig und legte mich schnell wieder aufs Sofa in meine Entspannungsposition.

Der Große verpasste alles 

Unser großer Sohn war immer noch draußen, ich habe ihn den ganzen Tag lang nicht gesehen. Er wusste nicht, dass ich Wehen hatte. Wie passend, dass er ausgerechnet heute Nacht bei seinem Freund übernachte würde und wir ihn gut versorgt wissen. Für unsere Tochter hatte ich die Babysitterin informiert, dass ich sie ggf anrufen würde. Ich wollte, dass jemand für sie da ist, falls sie aufwacht und mein Mann bei mir ist. Unsere Babysitterin war also abrufbereit und ich wusste, dass alle gut versorgt sind. Mein Plan funktionierte!

Nach dem Abendessen brachte mein Mann unsere Tochter ins Bett. Ich hörte sie aus ihrem Bettchen rufen: „Die Mama soll mir noch einen Knutschi geben!“ In diesem Moment war ich gerade auf Toilette. Der Weg vom Sofa zum Bad war mühsam gewesen, bei jedem Schritt spürte ich das Ziehen viel stärker als im Liegen. Ich hatte die Augen geschlossen und meine Meditation noch immer über Kopfhörer laufen. Selbst das Licht hatte ich ausgelassen. Zwar nahm ich das Rufen meiner Tochter wahr, doch ich spürte, dass ich nun schon ganz bei mir bleiben musste. Ich wollte meine Trance nicht mehr verlassen. Auch meine Tochter spürte das auch und gab sich zufrieden mit Papas Knutschis. Um ca 20.15 schlief sie ein und ich ging in die Badewanne.

Endspurt

Bevor ich ins Wasser kletterte, spürte ich im Bad ein paar heftigere Wehen, mit leichtem Druck nach unten. Das war mein Impuls, meinen Mann zu bitten, unsere Hebamme zu rufen. Als ich dann allerdings im Wasser lag, entspannte sich mein Körper wieder mehr. Die Wehenabstände wurden wieder länger und die Wehen etwas weniger intensiv. Kurz befürchtete ich, wir haben die Hebamme zu früh gerufen. Ich wollte nicht, dass sie unnötig bei uns herumsitzt. Um 20:45 war sie da. Wir hatten in unseren Gesprächen vor ab ausgemacht, dass sie sich im Hintergrund, ggf sogar vor der Badezimmertür aufhalten wird und mich in meinem Prozess nicht stören soll. Sie kam ganz leise ins Bad, beobachtete mich ein paar Wehen lang, überprüfte einmal die Herztöne meines Babys nach der Wehe und zog sich dann in eine Ecke im Bad zurück.

Sie untersuchte mich kein einziges Mal vaginal, sie gab mir keine Anweisungen. Sie sah mir zu und erkannte, dass alles gut ist. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Ich lag im warmen Wasser, mein Mann war bei mir, die Kerzen brannten und ich lauschte weiter Kristins Stimme: Loslassen, tief atmen, entspannen.

Schmerzlos waren die Wehen nicht, sie waren kraftvoll und intensiv. Immer noch dieses Ziehen in den Leisten, als ob jemand meinen Muttermund zur Seite aufzieht. Nach einiger Zeit im Wasser wurde es auch wieder stärker und die Abstände kürzer. Ich schaute nicht auf die Uhr, ich wusste nicht, wieviel Minuten zwischen den Wehen lagen. Aber ich spürte, dass es deutlich voran ging.

Dann wollte ich plötzlich nochmal zur Toilette, mein Darm drückte. Ich richtete mich auf, nahm die Kopfhörer raus, ließ meine Augen aber geschlossen. Doch ich schaffte es nicht aus der Badewanne raus. Mein Mann bot mir an, mich zur Toilette zu tragen. Einen Moment lang gingen die Wehen fast ineinander über, ohne eine Pause, die es mir ermöglicht hätte, aus der Wanne zu steigen. Dann war mir klar, dass der Druck in Richtung Darm und Steiß vom Baby kam. Ich blieb im Wasser, aufrecht auf den Knien. Legte mich ab und zu über den Wannenrand um die Pausen zu genießen. Dann tastete ich selbst nach dem Köpfchen und spürte es deutlich.

Ich fragte meine Hebamme, wie ich erkenne, wie weit der Muttermund offen ist. Sie erklärte mich, ich solle einmal mit dem Finger außen ums Köpfchen herumfahren. Da war nichts mehr zu spüren. Lediglich im vorderen Bereich war noch wie eine Lippe zu spüren, die ich versuchte ein wenig mit meinem Finger zu verdrängen. Es war der letzte Teil, der noch aus dem Weg musste, damit mein Baby den Weg durchs Becken antreten konnte. Für meine Hebamme war das der Impuls ihre Kollegin zu rufen. Ein paar Wehen später tastete ich erneut nach dem Köpfchen, es gab mir Kraft zu spüren, dass er nun schon etwas tiefer gekommen war.

Vor dem Kopf spürte ich die Fruchtblase, es fühlte sich an wie ein kleiner Wasserballon, ganz weich und warm.

Die Wehen veränderten sich. Das Ziehen in der Leiste war nun weg, dafür schob mein Körper innerlich das Baby nach unten. Das konnte ich gut wahrnehmen, war dabei ganz ruhig und ließ mein Baby arbeiten. Ich hatte nicht das Bedürfnis mitzuschieben, geschweige denn zu pressen. Ich hielt es einfach aus, ließ es geschehen und spürte, wie mein Körper und mein Kind das gemeinsam schafften. Gleichzeitig wusste ich nicht, wie ich meinen Kopf halten sollte, legte ihn mit geschlossenen Augen von links nach rechts. Griff nach der Hand meines Mannes, um mich festzuhalten. Ein paar Mal schluchzte ich leise, weinte beinahe.

Die Fruchtblase platzte

Um 22:00 Uhr platzte die Fruchtblase in der Badewanne, mein Mann teilte es der Hebamme mit, zusammen mit der Info, dass das Fruchtwasser klar sei. Nur noch vier Wehen, dann sollte es geschafft sein. Nach der nächsten Wehe hörte die Hebamme noch einmal die Herztöne ab. Dann folgten zwei Wehen die mein Baby kräftig nach unten schoben und ich laut und tief dabei stöhnte. Ich war immer noch auf meinen Knien, bis zum Bauch im Wasser, das linke Bein aufgestellt. Dann spürte ich, wie der Kopf geboren werden wollte und plötzlich sehr schnell nach draußen schob. Ich umfasste ihn mit meiner Hand und bremste ihn ein wenig. Das Gefühl mein Baby schon in meiner Hand zu spüren war unbeschreiblich schön.

Während mein Körper mein Kind rausschob, regulierte ich die Geschwindigkeit ein wenig. Ich spürte ein Brennen zwischen meinen Beinen. Dieses Empfinden kannte ich bereits, vor allem von meiner ersten Geburt und wusste, dass es das Gefühl von sehr starker Dehnung war. Dann war er da, der Kopf meines dritten Kindes, mein zweiter Sohn. Ich hielt ihn in meinen Händen, während ich auf die nächste Wehe wartete und redete bereits mit ihm. Ich begrüßte ihn und erklärte, dass wir es gleich ganz geschafft hatten. Noch eine letzte Wehe und mein Kind würde nicht mehr in mir wohnen, sondern in diese Welt geboren sein.

Die Wehe kam, mein Baby drehte sich, damit die Schultern durch das Becken passten und kam ins Wasser und in meine Hände geboren.

Durch den Auftrieb des Wassers schwamm der kleine Körper in Richtung Wasseroberfläche, die obere Schulter war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht um meine Symphyse gekommen. Ich rief: „Ah, die Schulter!“ und meine Hebamme wusste sofort, was zu tun war. Sie drückte mein Baby einfach ganz sanft noch einmal weiter nach unten ins Wasser, so dass er problemlos geboren werden konnte. Dann zog sie sich sofort wieder zurück und überließ es mir und meinem Mann, unseren Sohn zu begrüßen.

Ich hielt ihn in meinen Händen, er war noch immer unter Wasser und wir schauten sein perfektes Gesichtchen durch die Wasseroberfläche an. Es war ein wunderschöner Moment! Kurz erinnerte er mich an unseren ersten Sohn. Ich brachte ihn ganz langsam in Richtung Wasseroberfläche und hob zuerst seine Nase, dann das gesamte Gesicht sanft aus dem Wasser, damit er zu atmen beginnen konnte. Ich legte ihn mir auf den Bauch und er ließ einen kurzen Schrei los, meckerte kurz und schaute uns dann mit wachen Augen und völlig zufrieden an.

Die Hebamme holte eines der angewärmten Handtücher aus dem Backofen, um ihn warm zu halten. Ich stellte meine Beine auf und legte ihn auf meine Oberschenkel, so dass wir ihn komplett betrachten konnten. Er war so friedlich und ruhig und ganz aufmerksam und wach. Meine Hebamme fragte mich, ob ich aus dem Wasser kommen wollte, aber ich wollte noch etwas drin bleiben. Also legte ich mich entspannt zurück, nahm mein Neugeborenes wieder zu mir an die Brust und genoss den Moment mit ihm. Ich erzählte ihm wie sehr sich seine Schwester auf ihn freut; dass ich so gespannt bin, ihn richtig kennen zu lernen und zu erfahren, was er mitbringt in diese Welt. Meine Worte wurden unterbrochen von einer Nachwehe.

Mein Baby war zwar geboren, die Geburt aber noch nicht beendet, da die Plazenta noch in meiner Gebärmutter war. Die Nabelschnur meines Babys pulsierte sogar noch. Ich verbrachte noch bestimmt eine halbe Stunde im Wasser mit meinem Kind, wir stillten das erste Mal und kuschelten ausgiebig. Die Plazenta ließ immer noch auf sich warten, so beschlossen wir, dass ich mich nun mit Baby aufs Sofa kuscheln würde. Da die Nabelschnur noch nicht durchtrennt war, hielt ich mein Baby fest im Arm. Mein Mann und eine Hebamme halfen mir aus der Badewanne, während die zweite Hebamme, die mittlerweile eingetroffen war, mich und das Baby abtrockneten und in Handtücher wickelte.

Auf dem Weg zum Sofa fing ich plötzlich extrem an zu schlottern und zittern, vor Erschöpfung und Kälte. Ich wurde mit 3 dicken Decken zu gedeckt, mein Mann musste mich etwas festhalten, da mein ganzer Körper vibrierte. Dann brachte er mir etwas zu Essen und Trinken und allmählich wurde es besser. Damit nun endlich die Plazenta geboren werden konnte, drehte ich mich in den Vierfüßlerstand, legte mein Baby unter mich aufs Sofa ab und richtete mich auf. Meine Hebamme legte mir Unterlagen und eine Schüssel zwischen die Beine und leitete mich an zu husten. Ich spürte wie die Plazenta schon nach außen drückte, nahm die Nabelschnur in die Hand und zog vorsichtig daran, um dann den Mutterkuchen aufzufangen und in die Schüssel abzulegen.

Jetzt erst, über eine Stunde nach dem mein Kind das Licht der Welt erblickte, war die Geburt offiziell beendet. Mein Baby durfte nun mit seinem Papa kuscheln und wurde dann am Wickeltisch von der Hebamme gemessen und gewogen. Hier durfte der Papa die Nabelschnur dann durchtrennen. Willkommen im Leben, kleiner J.